(Prag/Bamberg) Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds hat am Freitagabend in Bamberg den Deutsch-tschechischen Journalistenpreis 2022 verliehen. Bei einem Festakt im historischen Gebäude des Alten E-Werks wurden in Anwesenheit zahlreicher Journalisten, Ehrengäste und der breiten Öffentlichkeit aus beiden Ländern insgesamt neun deutsche und tschechische Autoren mit acht Preisen ausgezeichnet. Neben den anwesenden Gästen konnten auch Fernsehzuschauer in beiden Ländern die Preisverleihung per Livestream mitverfolgen, sie wurde etwa vom MDR auf seiner Online-Plattform übertragen.
Aus insgesamt 73 eingereichten Beiträgen wurden die Laureaten in den Kategorien Text, Audio und Multimedia ausgewählt: Jan Brož (Hrot), Kilian Kirchgeßner (Brand eins), Jolana Matějková (Česká televize), Christian Stücken (Bayerischer Rundfunk), Štěpán Vizi/ Filip Rambousek (Radio Prague International,) und Kilian Kirchgeßner (Deutschlandfunk). Den Sonderpreis „Milena Jesenská“ erhielt Magdalena Fajtová (Český rozhlas Plus). Die Sonderauszeichnung für langjährige herausragende journalistische Tätigkeit ging an Lída Rakušanová.
„Im letzten Jahr wurden die tschechische und deutsche Gesellschaft vor allem durch den Krieg in der Ukraine und seine vielfältigen Folgen erschüttert. In einer Zeit zunehmender Krisen und globaler Bedrohungen wird jetzt immer klarer, wie nötig Zusammenhalt, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, gegenseitige Inspiration und die Erweiterung des eigenen Horizonts sind bei der Suche nach gemeinsamen Antworten auf Probleme, die keine Grenzen kennen. Die eingegangenen Beiträge befassen sich diesmal anhand konkreter, individueller Schicksale nicht nur mit unserer gemeinsamen Geschichte, sondern viele von ihnen spiegeln die aktuellen, drängenden Probleme wider, mit denen wir heute zu kämpfen haben“, so Petra Ernstberger und Tomáš Jelínek, die Direktoren des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. „Verantwortungsvoller Journalismus, der sich nicht mit einfachen Antworten zufriedengibt, ist unentbehrlich – ein Qualitätsjournalismus, der unvoreingenommen berichtet, einordnet, den Ursachen auf den Grund geht und so zum besseren Verständnis unterschiedlicher Positionen beiträgt.“
Petra Ernstberger und Tomáš Jelínek
Die Preisverleihung wurde mit einer Keynote von der Schriftstellerin, Publizistin und Historikerin Alena Wagnerová eröffnet:
„In den über 50 Jahren, die ich mittlerweile in beiden Ländern, Deutschland und Tschechien, lebe und als Autorin, Journalistin und Oral-Historikerin tätig bin, habe ich viele Gespräche mit Menschen geführt, die sich als Einzelne viel in den deutsch-tschechischen Beziehungen bewegt haben, oft unbekannt und doch so wichtig. Es ist eine der wichtigsten und leider mitunter auch gefährlichen Aufgaben von Journalisten, unvoreingenommen nach dem Guten und Wahren zu suchen. Nicht zufällig habe ich mich daher intensiv mit der Geschichte der herausragenden und bemerkenswert couragierten Journalistin Milena Jesenská beschäftigt, nach der der Sonderpreis dieses Wettbewerbs benannt ist, und ihre Biographie dem deutschen Publikum nähergebracht.“
Alena Wagnerová
Der Deutsch-tschechische Journalistenpreis wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gemeinsam mit den Journalistenverbänden beider Länder (Deutscher Journalistenverband und Syndikát novinářů ČR) verliehen.
Die Preisträgerinnen und Preisträger
Kategorie Text
Mit dem tschechischen Preis in der Kategorie Text wurde Jan Brož für seinen am 9. Mai 2022 in der Wochenzeitung Hrot erschienenen Artikel Putins Russlanddeutsche und seine Gegener [Putinovi ruští Němci a odpůrci] ausgezeichnet, in dem er aufzeigt, wie sich die Situation der in Berlin lebenden Russlanddeutschen nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine verändert. “Jan Brož bietet den tschechischen Lesern mit seiner Reportage eine einzigartige Gelegenheit, die russische Gemeinschaft in Berlin näher kennenzulernen. Dies ist von größter Bedeutung in einer außergewöhnlichen Zeit, in der Deutschland seine langjährigen Beziehungen zu Moskau neu bewertet“, lobte Adam Černý vom tschechischen Journalistenverband Syndikát novinářů die Reportage in seiner Laudatio.
Der deutsche Preis in der Kategorie Text wurde Kilian Kirchgeßner für seinen Artikel Du musst aufhören zu denken, dass jeder westliche Unternehmer dreimal klüger ist als Du verliehen, der am 1. August 2021 in derWirtschaftszeitschrift Brand eins erschienen ist. Darin stellt Kilian Kirchgeßner den deutschen Lesern in einem Porträt den tschechischen Unternehmer Tomáš Čupr, Geschäftsführer von Rohlik.cz, vor, der nach dem Erfolg in seiner Heimat beschloss, nun in den deutschen Markt zu expandieren. „Kirchgeßner hat eine sehr gute Geschichte gewählt, die Geschichte eines Tech-Start-ups, die Geschichte eines modernen Tschechiens, die sich von den Themen unterscheidet, die sonst in der deutschen Öffentlichkeit mit den östlichen Nachbarn assoziiert werden”,bewertete das Jurymitglied Tomáš Lindner, Redakteur der Zeitschrift Respekt, den Beitrag.
Kategorie Multimedia
In der Kategorie Multimedia wurde Christian Stücken für den Dokumentarfilm Der Todesflug von Marienbad: Was geschah an Bord der Turbolet L410? ausgezeichnet, der am 8. Juni 2021 im BR Fernsehen ausgestrahlt wurde. In seinem Film erzählt der Autor die außergewöhnliche Geschichte der Entführung eines Flugzeugs durch junge Tschechoslowaken im Jahr 1972. „Die Geschichte erzählt von einer gelungenen Flucht über die Grenze zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland, die trotzdem tragisch endete. Christian Stücken recherchiert aufwendig und detailliert, was damals in dem Flugzeug passiert ist und was aus den 10 Entführerinnen und Entführern geworden ist. Seine Geschichte hält einen in Atem und bleibt dabei immer gekonnt in der Balance. Sie berührt, aber überwältigt nicht. Es ist einfach ein sehr gelungenes Stück Journalismus“, begründete Peter Lange, ehemaliger Hörfunk-Korrespondent für das Deutschlandradio und die ARD in Prag, die Juryentscheidung.
Die tschechische Gewinnerin in dieser Kategorie war Jolana Matějková für ihren Dokumentarfilm Zeit zum Feiern und Singen [Čas slavit a zpívat], der am 14. Mai 2022 im Tschechischen Fernsehen gezeigt wurde. Darin erzählt die Autorin die Geschichte von Helena Klímová, die ihre Kindheit während des Zweiten Weltkriegs in einem Waisenhaus verbrachte und heute als Psychotherapeutin tätig ist. Blanka Závitkovská, Auslandsredakteurin beim Tschechischen Fernsehen, begründete die Preisvergabe im Namen der Jury wie folgt: „Jolana Matějková zeichnet ohne Pathos und Nostalgie das Porträt einer Frau mit einem schweren Schicksal und einem reichen Leben. Als Gestaltungsform wählte sie das persönliche Erzählen durch die Protagonistin selbst und schaffte es durch eine sensible Kameraführung, die positive Atmosphäre einzufangen, die sie um sich verbreitet. Sie zeigt dem Publikum ein vielschichtiges Bild einer empathischen Frau, starken Persönlichkeit und angesehenen Therapeutin.“
Kategorie Audio
Den tschechischen Preis erhielt das Duo Štěpán Vizi und Filip Rambousek für einen Beitrag aus dem ersten deutsch-tschechischen Klima-Podcast „Karbon“ mit dem Titel Verlieren wir den Boden unter den Füßen? Wie Landwirtschaft Klima und Natur verändert [Ztrácíme půdu pod nohama: jak zemědělství proměňuje klima a naši krajinu], der am 26. November 2021 bei Radio Prague International zu hören war. In dem Beitrag beleuchten die Autoren gemeinsam mit Expertinnen und Experten von deutscher und tschechischer Seite die Bereiche Landwirtschaft und Umwelt. „Bei zwei so wichtigen Themen wie dem Klimaschutz und der Energiepolitik, bei zwei so eng miteinander verbundenen Nachbarländern wie Deutschland und der Tschechischen Republik ist es äußerst wichtig, der anderen Seite die eigenen Ansätze näherzubringen, um Missverständnisse zu vermeiden. Genau das tut der deutsch-tschechische Klimapodcast Karbon von Štěpán Vizi und Filip Rambousek. Da es sich dabei um das erste zweisprachige Audioprojekt zu diesem Thema in Tschechien handelt, leisten die beiden hier ganz klar Pionierarbeit“, begründete Filip Nerad vom Tschechischen Rundfunk die Auswahl der Jury.
Der deutsche Preis ging an Kilian Kirchgeßner für seinen Rundfunkbeitrag „Brutalistische Zeitzeugen: Tschechiens Umgang mit der Architektur des Kommunismus“, der am 27. November 2021 im Deutschlandfunk gesendet wurde. Der Autor stellt den deutschen Hörern brutalistische Bauten tschechischer Architekten vor, aber auch Menschen, die diese Architektur schätzen und sich für ihre Erhaltung einsetzen. „Diese Architektur und das neue Bewusstsein für ihre Bedeutung im heutigen Tschechien bringt Kilian Kirchgeßner dem deutschen Radio-Publikum auf unterhaltsame und hintergründig-kluge Weise näher. Die jüngere Generation in Tschechien – so erfahren wir – sieht die Bauten des Brutalismus nicht mehr als hässliche Überreste des Kommunismus, sondern entdeckt die Schönheiten von rohem Sichtbeton und expressiv-modernen Formen”, sagte Christoph Scheffer vom Hessischen Rundfunk in seiner Laudatio.
Sonderpreis Milena Jesenská
Den Sonderpreis „Milena Jesenská“ erhielt Magdalena Fajtová für die Reportage „Er erschoss sich als Wehrmachtssoldat und achtzig Jahre lang wusste man nichts von ihm. Bis sich sein Militärausweis fand…“ [Zastřelil se jako voják Wehrmachtu a osmdesát let o něm nikdo nic nevěděl. Pak se ale našla jeho vojenská karta], ausgestrahlt im Tschechischen Rundfunk am 28. Mai 2022. Magdalena Fajtová lässt die Zuhörer an ihrer Suche nach dem Schicksal ihres Urgroßvaters teilhaben, der als Soldat der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg Selbstmord beging. „Es sind mehrere Themen, die die Suche nach dem Schicksal des Urgroßvaters begleiten: zum einen die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Nationalität, wie vage es ist, wenn Menschen, konkret in Grenzregionen, dieser Frage keinen Wert beimessen und eben zweisprachig aufwachsen. Zum anderen das Gefangensein in Systemen und Zwängen, der Verlust der Heimat und der Würde nach dem verheerenden Krieg und schließlich die persönliche Verantwortung für das eigene Handeln. Die Autorin vermeidet Überladungen und Überlagerungen, überlässt das Bewerten uns, den zuhörend Begleitenden”, so Bogna Koreng vom MDR für die Jury.
Sonderauszeichnung für langjährige, herausragende journalistische Tätigkeit
Die Sonderauszeichnung für langjährige herausragende journalistische Tätigkeit ging an Lída Rakušanová – eine tschechische Journalistin und Schriftstellerin, die 1968 in die Bundesrepublik emigrierte und für Radio Freies Europa in München arbeitete und bis heute regelmäßig die Ereignisse in Deutschland und der Tschechischen Republik kommentiert. „Fast ihr ganzes Berufsleben ist den deutsch-tschechischen Beziehungen gewidmet, ob für Radio Freies Europa, für den Tagesspiegel, die Passauer Neue Presse oder für den Tschechischen Rundfunk und das Tschechische Fernsehen. Dabei strebt Rakušanová stets nach Aufklärung, Verständnis und Verständigung. Und immer hat sie ihr Publikum im Blick, achtet darauf, dass sie Themen aufgreift, die unbedingt von Interesse für die jeweilige Zielgruppe sind. Egal ob sie sich an die tschechische oder an die deutsche Leserschaft und Hörerschaft wendet“, würdigte Jurymitglied Libuše Černá vom Deutschen Journalistenverband die Verdienste Rakušanovás.