Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds hat am Freitagabend in Potsdam den Deutsch-tschechischen Journalistenpreis 2024 verliehen. Acht deutsche und tschechische Autorinnen und Autoren erhielten ihre Auszeichnungen von den anwesenden Botschaftern beider Länder und weiteren prominenten Persönlichkeiten.
Der Festakt in der historischen Schinkelhalle wurde von Künstlern des Prager Theaters Studio Hrdinů inszeniert, durch den Abend führte der langjährige ZDF-Moderator Eric Marr. Die einführende Keynote hielt der Historiker Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Das anwesende Publikum bestand aus Journalisten und Ehrengästen sowie Potsdamer Bürgern und Zuschauern aus beiden Ländern. Zudem wurde die Verleihung des Deutsch-tschechischen Journalistenpreises 2024 live im Tschechischen Fernsehen und im Mitteldeutschen Rundfunk übertragen.
Die Eröffnung des Abends war Adam Černý gewidmet, der im Juni dieses Jahres verstorben war. Wir erinnerten uns an unser langjähriges Jurymitglied, den Journalisten, Kommentator und Vorsitzenden destschechischenJournalistenverbandes (Syndikát novinářů ČR) und an den großartigen Menschen, der Adam Černý war.
Insgesamt bewarb sich in diesem Jahr eine Rekordzahl von 121 Beiträgen um den Journalistenpreis. Diese Preisträgerinnen und Preisträger wurden in den Kategorien Text, Audio und Multimedia ausgezeichnet: Marek Švehla (Respekt), Philipp Krohn (FAZ), Adéla Petrová (Český rozhlas Radiožurnál), Marianne Allweiss (Deutschlandfunk), Pavel Šimák (Česká televize) und Katrin Molnár & Jana Šustová (arte). Den Sonderpreis „Milena Jesenská“ erhielt Lukáš Houdek (HateFree Culture).
Die Geschäftsführer des Zukunftsfonds, Petra Ernstberger und Tomáš Jelínek, kommentieren den 9. Jahrgang des Deutsch-tschechischen Journalistenpreises:
Der Journalistenpreis war in diesem Jahr außergewöhnlich – sowohl was die Zahl der eingereichten Beiträge angeht als auch die Themenbreite. Neben rein deutsch-tschechischen und historischen Themen gelangten auch Geschichten, die über unsere Grenzen hinausgehen und bei der Öffentlichkeit auf Interesse stoßen, in den Fokus der Journalisten aus beiden Ländern. Wie etwa die Erinnerung an die Opfer des Holocausts an den Sinti und Roma und des kommunistischen Regimes, die spannende Erzählung eines Produzenten, der tschechischen Märchen die Tür in die westdeutsche Fernsehwelt geöffnet hat oder der Blick eines deutsch-tschechischen Autorinnenduos auf die Integration der vietnamesischen Minderheit in die tschechische Gesellschaft. Die Preisträgerinnen und Preisträger haben uns wirklich eine große Vielfalt an Themen geboten.
Der Deutsch-tschechische Journalistenpreis wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gemeinsam mit den Journalistenverbänden beider Länder, dem Deutschen Journalistenverband (DJV) und dem Journalistensyndikat der Tschechischen Republik (Syndikát novinářů ČR) verliehen.
Die Preisträgerinnen und Preisträger
Kategorie Text
Den tschechischen Preis in der Kategorie Text erhielt Marek Švehla für die Reportage „Das jízdenka“ (Das Fahrkarte), erschienen am 19.8.2023 in der Wochenzeitung Respekt. Wie schwierig es für einen Ausländer ist, es zu kaufen, hat der Autor selbst getestet: Es geht hier um das Deutschlandticket – für nur 49 Euro! Wer es hat, kann mit Regionalzügen durch ganz Deutschland fahren. Das hört sich doch gar nicht schlecht an!, sagt sich der umsichtige tschechische Journalist und macht sich auf den Weg ins Nachbarland. Mit viel Einfühlungsvermögen schildert er, wie er sich durch den Bürokratiedschungel quält, um an das kostbare Ticket zu gelangen.
„Man kann auf gerade einmal acht Absätzen den abenteuerlichen Weg zum Deutschlandticket schildern. Wenn man es kann. Marek Švehla kann, weil er hat, was er dafür braucht: den unbestechlichen Blick, das geschliffene Wort und richtige Dosis Witz“, lobt der erfahrene deutsche Journalist Daniel Brössler von der Süddeutschen Zeitung in seiner Laudatio das journalistische Handwerk Švehlas.
Der Preis in der Kategorie Text in deutscher Sprache wurde Philipp Krohn für die Reportage „Herr Tau und die Zukunft“ verliehen, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in Langfassung auf deren Internetseite am 6. 11. 2023 veröffentlicht wurde. Pan Tau mit der magischen Melone war über mehrere Generationen hinweg ein Held für tschechische Kinder. Aber auch deutsche Kinder kannten ihn aus dem ARD-Fernsehen. Zu einer Zeit, als die sozialistische Tschechoslowakei und das kapitalistische Westdeutschland durch den undurchdringlichen Eisernen Vorhang voneinander getrennt waren, entwickelte sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen tschechischen Filmemachern und dem Westdeutschen Rundfunk, wo Gert Müntefering als Produzent die Kinderredaktion leitete. Ihm ist es zu verdanken, dass Koproduktionen z. B. bei der Verfilmung des Märchens „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und bei anderen erfolgreichen Filmen ins westdeutsche Fernsehen kamen. Im Alter von 88 Jahren wurde Müntefering auf dem Kinderfilmfestival in Ostrov bei Karlsbad ausgezeichnet. Und wie sich das damals alles abgespielt hat, erzählt er einem Redakteur der renommierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
„Preise werden vergeben, wenn Autoren mit ihren Geschichten die Leser bereichern und überraschen. Wenn sie etwas zwar Vertrautes, aber Ausgeblendetes neu beleuchten. Wenn sie eine aufwändige Recherche machen. Wenn sie mit den Helden ihrer Geschichten auf Achse sind und mit schöner Sprache und Bildern die Leser mitnehmen. Genau das ist Philipp Krohn in seinem Text gelungen“, beschreibt Tomáš Lindner, Journalist und Kommentator bei der Wochenzeitung Respekt, den Wert und die Qualität der Reportage.
Kategorie Multimedia
In der Kategorie Multimedia in tschechischer Sprache ging der Preis an den Regisseur Pavel Šimák für seinen Dokumentarfilm „Franz Kafka – známý neznámý“ (Kennen Sie Kafka?), den das Tschechische Fernsehen am 4. Juni 2024 ausstrahlte. Ein mysteriöser Einzelgänger, ein genialer Sonderling, ein Hellseher mit Blick auf die Diktaturen des 20. Jahrhunderts – das ist das Bild von Franz Kafka, das nicht mit seiner realen Person, sondern mit einem Mythos in Verbindung steht. Der preisgekrönte Film von Pavel Šimák, eine internationale Koproduktion zwischen dem Tschechischen Fernsehen und dem deutsch-französischen Sender arte, versucht, den Menschen hinter diesem Mythos zu entschleiern. Das dokumentarische Porträt des berühmten Schriftstellers führt bisher unveröffentlichte Fakten und Archivalien über sein Leben zusammen und präsentiert gleichzeitig eine neue Interpretation der Beziehung zwischen dem Autor und seinem Werk.
„Pavel Šimák zieht alle Register, die einem Filmemacher zur Verfügung stehen: Archivmaterial und Zeitzeugen, Experten aus Frankreich, Deutschland und Tschechien, dazu grafische Spielereien. Das alles ist gekonnt zusammengesetzt zu einer Montage, die unglaublich leichtfüßig und unterhaltsam daherkommt und deshalb – obwohl über 50 Minuten lang – keinerlei Längen hat. Diesen Franz Kafka kennenzulernen, ist einfach ein großes Vergnügen“, beurteilt Peter Lange, Rundfunkredakteur und ehemaliger Prag-Korrespondent von ARD und Deutschlandradio, den Film.
In der Kategorie Multimedia in deutscher Sprache gewann die Reportage „Prags vietnamesische Community startet durch“, die die deutsche und tschechische Filmemacherinnen Katrin Molnár und Jana Šustová gemeinsam für den Mitteldeutschen Rundfunk produziert haben und die am 8. März 2024 von arte ausgestrahlt wurde. Die Suche nach Identität, die Verbindung unterschiedlicher Kulturen und der Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen sind Themen, die sowohl die tschechische und die deutsche Gesellschaft als auch insgesamt unsere Zivilisation prägen. Die Autorinnen begleiten junge Protagonisten der vietnamesischen Minderheit in Prag, Vertreter der zweiten und dritten Einwanderergeneration, die seit den 1970er Jahren zum Arbeiten in die Tschechische Republik gekommen sind, und beobachten, wie sie sich darum bemühen, durch gegenseitiges Kennenlernen und Verständnis neue Beziehungen zwischen den beiden Nationen aufzubauen.
„Der Film von Katrin Molnár und Jana Šustová führt uns zum Prager ‚Bananenfest‘, einem Festival der vietnamesischen Kultur, das von jungen vietnamesischen Erwachsenen organisiert wird. Ihr Ziel ist es, ‚Traditionen auf eine moderne Art und Weise zu zeigen‘ und – gemeinsam mit den tschechischen Besuchern – die Vielfalt der vietnamesischen Kultur zu feiern. Dass ihre Bemühungen erfolgreich sind, können wir dank der einfühlsamen Begleitung durch die Kamera auf unseren Bildschirmen mitverfolgen“, bewertet Veronika Kupková, Jurymitglied und unabhängige Journalistin, den Film in ihrer Laudatio.
Kategorie Audio
Der Gewinnerbeitrag in der Kategorie Audio in tschechischer Sprache ist die Reportage von Adéla Petrová mit dem Titel „Lety u Písku. Opomíjená historie romského holocaustu“ (Lety bei Písek. Die vergessene Geschichte des Holocaust an den Sinti und Roma), ausgestrahlt vom Tschechischen Rundfunk Radiožurnál am 11. Mai 2024. Die Serie von sechs vierminütigen Beiträgen über die Gedenkstätte in Lety bei Písek bietet einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart einer der wichtigsten, aber gleichzeitig am wenigsten bekannten Holocaust-Gedenkstätten in der Tschechischen Republik. Das neu gestaltete Areal soll nicht nur als Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus dienen, sondern auch als Ort, an dem das Leben gefeiert wird.
Libuše Černá, Autorin und Mitglied im Deutschen Journalistenverband, beschrieb die Qualität der Reportage in ihrer Laudatio wie folgt: „Adéla Petrová hat Experten, Historiker, Kulturschaffende und Lehrer konsultiert. Ein Nachkomme von Überlebenden kam ebenfalls zu Wort. Auch Archivmaterial wurde herangezogen. Durch diesen dramaturgischen Bogen wurden wir sowohl über die Vergangenheit als auch über die zukünftigen Entwicklungen und Perspektiven informiert. Die Vielfalt der Stimmen und Blickwinkel zeichnen ein facettenreiches Bild rund um die Gedenkstätte in Lety.“
Der deutsche Preis in der Kategorie Audio ging an Marianne Allweiss für ihre Reportage „Grenztote am Eisernen Vorhang: Zähe Aufarbeitung in Tschechien“, die am 22. Juli 2023 im Deutschlandfunk gesendet wurde. Wie schwer ist es, die Vergangenheit zu öffnen, Verbrechen zu benennen und die Schuldigen zu finden? Wer trägt die Verantwortung für den Tod von Menschen, die in den 1980er Jahren an der Grenze erschossen wurden, als sie versuchten, aus der kommunistischen Tschechoslowakei nach Westdeutschland zu fliehen? Und welchen Sinn hat es, sie heute vor Gericht zu stellen? Die Reportage der Prag-Korrespondentin für ARD und Deutschlandradio berichtet darüber, wie die Tschechische Republik sich langsam mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzt.
„Marianne Allweiss stellt den Hörern in dieser Reportage eine internationale Plattform vor, die die Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit auf europäischer Ebene koordinieren soll. Einen Erfolg konnte die Plattform bereits für sich verbuchen: Durch eine Klage in Deutschland im Jahr 2016 und ein Jahr später in der Tschechischen Republik gelang es ihr, ein Gerichtsverfahren gegen ein führendes Mitglied des tschechoslowakischen kommunistischen Apparats einzuleiten. Und damit de facto zu deklarieren, dass das Schießen auf Menschen an der tschechoslowakischen Grenze, wodurch Hunderte nicht nur tschechischer, sondern auch ostdeutscher und vieler anderer Flüchtlinge aus Osteuropa starben, auch nach einem halben Jahrhundert nicht verjährt ist“, fasst die Journalistin Ludmila Rakušanová die Kernbotschaft des Beitrags zusammen.
Sonderpreis Milena Jesenská
Lukáš Houdek, ein unabhängiger Journalist, Aktivist und Künstler, erhielt den Sonderpreis für seine Podcast-Reihe, in der er die Lebensgeschichten von Kindern aus Namibia nachzeichnet, die in den 1980er Jahren in die Tschechoslowakei und die DDR kamen. Sie wuchsen dort auf, gingen zur Schule und lebten in den sozialistischen Ländern, während ihr eigenes Land für die Unabhängigkeit von Südafrika kämpfte. Als sie dann in ihre afrikanische Heimat zurückkehren mussten, kamen sie in ein für sie völlig fremdes Land. Im Rahmen der Regierungsinitiative HateFree Culture begleitete Lukáš Houdek sie in Namibia. Am 13. August 2023 veröffentlichte er sechs Audioreportagen auf der Website unter dem gemeinsamen Titel „Wo ist meine Heimat?“. Eine Identitätssuche von Menschen, die zwischen zwei Kontinenten leben, wird in den authentischen Erzählungen und Erinnerungen der heutigen Namibier festgehalten. Alle Aufnahmen wurden von der Stiftung Paměť národa (Gedächtnis der Nation) für ihr Archiv erworben.
„Die Podcast-Serie macht deutlich, welche intensive Bindungen Kinder in kurzer Zeit zu ihrer Umgebung aufbauen und wie traumatisierend sie den Verlust dieser Heimat erleben. Angesichts der in ganz Europa heute immer lauter werdenden Forderungen nach Grenzschließungen und Abschiebungen (auch von hier aufgewachsenen Kindern und Jugendlichen) ist diese Podcast-Reihe zugleich ein eindringlicher Appell an die Menschlichkeit: Respektieren wir das Recht von Kindern auf ihr Zuhause, wo immer sie es – aus welchen Gründen auch immer – gefunden haben“, beschreibt Christoph Scheffer, Redakteur des Hessischen Rundfunks, treffend die Aktualität der Sendung.