In Prag wurde am Samstagabend der Deutsch-tschechische Journalistenpreis 2020 verliehen. In Rahmen einer feierlichen Inszenierung im Theater Studio Hrdinů wurden Journalistinnen und Journalisten aus beiden Ländern mit insgesamt acht Preisen gewürdigt. Aufgrund der Pandemie-Situation fand die Preisverleihung in diesem Jahr ohne Publikum statt, wurde aber live vom Tschechischen Fernsehen in beiden Sprachen per Stream übertragen.
Aus insgesamt 111 eingereichten Beiträgen gingen die Preise in den Kategorien Text, Audio und Multimedia an: Vladimír Ševela (Hospodářské noviny), Alexandra Mostýn (die tageszeitung), Pavel Šuba (Český rozhlas/ Tschechischer Rundfunk), Thomas Muggenthaler (Bayerischer Rundfunk), Pavel Polák (Česká televize/ Tschechisches Fernsehen) und Heike Bittner/ Robert Jahn (MDR/ ARTE). Den Sonderpreis „Milena Jesenská“ erhielt Jan Beránek (Česká televize/ Tschechisches Fernsehen) für einen aktuellen Beitrag zum Thema Zivilcourage, Verständigung und Toleranz. Die Sonderauszeichnung für langjährige herausragende journalistische Tätigkeit wurde an Heidi Wolf verliehen.
Mit dem Preis zeichnet der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds in Zusammenarbeit mit den Journalistenverbänden beider Länder (Deutscher Journalistenverband und Syndikát novinářů) bereits zum fünften Mal Journalistinnen und Journalisten aus, die durch hintergründige, packende und unvoreingenommene Berichterstattung das Interesse am Nachbarn wecken und so zum tieferen Verständnis zwischen den Menschen beider Länder beitragen.
„In Krisen wie der gegenwärtigen bestätigt sich aufs Neue die Wichtigkeit von qualitativ hochwertigem Journalismus. Wie bereits während der Migrationskrise hatten schnell Schwarz-Weiß-Denken, Vorurteile und Stereotype Konjunktur. In solchen Momenten werden Journalisten noch unentbehrlicher. Das aktuelle Geschehen aus anderer Perspektive näherzubringen, elementare Geschichten in den Fokus zu rücken, durch die wir unsere Nachbarn und uns selbst besser verstehen; aber vor allem sich die Mühe zu machen, in die Tiefe zu gehen, den Kontext zu begreifen, Fakten zu überprüfen und an Menschen zu gelangen, deren Geschichten uns bereichern – das ist für jeden von uns und für unsere Gesellschaft ungemein wertvoll. Und für gute deutsch-tschechische Beziehungen eine Bedingung sine qua non. Ohne tieferes Kennenlernen kann es keine wirkliche Verständigung geben“, betonten Petra Ernstberger und Tomáš Jelínek, Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.
Der Philosoph Miroslav Petříček von der Prager Karlsuniversität betonte zu Beginn der Preisverleihung in seiner Keynote-Rede:
„Es geht nicht nur darum, dass wir hier dank der Journalisten wissen, was dort vor sich geht und umgekehrt dort erfahren, was es hier Neues gibt. Es geht nicht nur um Informationen. Der Journalist ist auch Zeuge unseres Selbstbetrugs und kann uns vor Augen führen, dass wir aus der Sicht von drüben anders aussehen, als es uns von hier aus scheint. Und genau diese Brücken über Illusionen und „alternative Fakten“ hinweg sind heute vielleicht sogar am wichtigsten.“
Die Preisträgerinnen und Preisträger
Kategorie Text
In der Kategorie Text wurde Alexandra Mostýn für ihren Artikel „Totgesagte leben länger“ ausgezeichnet, erschienen in der tageszeitung taz, 17.11.2019.
Anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Samtenen Revolution hat die Autorin Erinnerungen von Zeitzeugen aus entgegengesetzten Lagern miteinander konfrontiert und für den deutschen Leser die vermeintliche Rolle von Ludvík Zifčák, Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes, während der Samtenen Revolution beleuchtet sowie seine späteren Ansichten. „Alexandra Mostyn hat in ihrer Reportage eingefangen, welche Verwandlung wichtige historische Ereignisse in der Perspektive ihrer Beteiligten erfahren, insbesondere derer, die sich selbst als Akteure betrachten“, unterstrich Jurymitglied Adam Černý vom Tschechischen Journalistenverband in seiner Laudatio.
Der tschechische Preis in der Kategorie Text ging an Vladimír Ševela und seine Reportage Kohout? Spadl ze schodů… [Der Hahn? Ist von der Treppe gefallen…], Hospodářské noviny, 30.8.2019. Darin begibt sich der Autor in die Niederlausitz und beleuchtet die Kultur und Identität der Sorben und ihr Bemühen, alte Traditionen zu bewahren.
„Ševela hat passenderweise keine Story über Folklore geschrieben, sondern eine sehr aufmerksame Reportage über Selbstreflexion in einer komplizierten Welt und darüber, wie das Bestreben „man selbst“ zu sein mitunter in Ablehnung alles Fremden umschlagen kann. Dies ist keine Geschichte über die kleine Welt der Lausitzer Sorben. Es ist eine Geschichte über unsere Welt“, lobte Jurymitglied Daniel Brössler, Süddeutsche Zeitung.
Kategorie Audio
Den deutschen Preis in der Kategorie Audio erhielt Thomas Muggenthaler für sein Radiofeature Als Kind in Auschwitz – die letzten Überlebenden erinnern sich, Bayerischer Rundfunk, 4.4.2020. Darin dokumentiert der Autor die erschütternden Erinnerungen von Holocaust-Überlebenden, die als Kinder Auschwitz durchleiden mussten. „In seinem außergewöhnlichen Zeitdokument hat Thomas Muggenthaler eine der letzten Chancen genutzt. Er lässt den überlebenden Kindern des Konzentrationslagers den Raum, sich zu erinnern, das Erlebte Jahrzehnte später zu schildern, vielleicht auch zu begreifen, was da um sie herum und mit ihnen geschah. Durch die sensible Zurückhaltung des Autors und der Erzählerin, schafft er den letzten Überlebenden der Konzentrationslager einen würdigen Raum zur Erinnerung- und Mahnung“, unterstrich Jurymitglied Bogna Koreng, MDR, Sorbische Redaktion.
Aus Tschechien wurde Pavel Šuba vom Tschechischen Rundfunk ausgezeichnet. In seiner Radioreportage Morgenland, Český rozhlas, 1.1.2020, begibt er sich auf die Spuren des verschwundenen sudetendeutschen Dorfes Morgenland im Altvatergebirge, das nach der Vertreibung der ursprünglichen deutschen Bevölkerung 1946 von der Landkarte verschwand. „Pavel Šuba befasst sich mit einem Thema, das schon viele Male bearbeitet wurde: dem Schatten der Abschiebung der deutschen Bevölkerung aus den Sudeten. Und doch ist ihm eine einzigartige Rundfunkbearbeitung gelungen. Wie ein Archäologe legt er vorsichtig seine ganz individuelle Geschichte frei und zeichnet ein ganzheitliches Bild von der Geschichte des 20. Jahrhunderts“, betonte Jurymitglied Libuše Černa, Deutscher Journalisten-Verband Bremen.
Kategorie Multimedia
In der Kategorie Multimedia ging der Preis an Heike Bittner und Robert Jahn für ihren Dokumentarfilm Weitermachen in der Krise – Leben mit geschlossenen Grenzen, ARTE (TV), 16. 4. 2020. Der Film porträtiert Menschen im Dreiländereck zwischen Deutschland, Tschechien und Polen, für die ein grenzenloses Europa längst zum Alltag geworden ist und die sich durch die plötzlichen Grenzschließlungen im Zuge der Corona-Pandemie vor schwere Entscheidungen und Herausforderungen gestellt sahen. „Der Film zeigt die Verflechtung der Regionen im Grenzgebiet und das alltägliche Zusammenleben von Menschen, die plötzlich mit einer gemeinsamen Bedrohung – einer unberechenbaren Krankheit – konfrontiert sind. Die Stärke dieses Films liegt in der Menschlichkeit und Aufrichtigkeit seiner Protagonistinnen und Protagonisten. Die Kamera begleitet sie auf ihren individuellen Wegen, der Krisensituation zu begegnen und sie zu meistern“, lobte Jurymitglied Blanka Závitkovská, Tschechisches Fernsehen.
Aus Tschechien wurde die Reportage-Serie Die deutsche Küste mit den Augen von Pavel Polák ausgezeichnet, Erstausstrahlung im Tschechischen Fernsehen/ Česká televize, 14.9.2019. Der Autor bereist die deutsche Küstenlandschaft und porträtiert in dreizehn Kurz-Reportagen die dort lebenden Menschen und ihre Beziehung zur Region. „Pavel Polák entdeckt Orte, die nicht im Reiseführer stehen, und weiß auch zu bekannten Orten immer wieder Neues zu berichten: Mit Faktenkenntnis, Gespür für Geschichten und Sinn fürs Detail findet er sich einen Zugang zu den Dingen und Menschen und erzählt mit Witz und Scharfsinn über das Außergewöhnliche daran. Seine Beobachtungsgabe und seine Erfahrung als Berichterstatter in Deutschland verleihen seinen Beobachtungen Distanz und Humor“, lobt Jurymitglied Blanka Závitkovská, Tschechisches Fernsehen.
Sonderpreis Milena Jesenská
Der Sonderpreis Milena Jesenská ging an Jan Beránek und seinen Dokumentarfilm Nikam nepatřit [Nirgends zugehörig], Česká televize, 26.12.2019. Er erzählt die Geschichte des aus Teplice stammenden Kurt Taussig, der als Jugendlicher vor den Nationalsozialisten nach Großbritannien floh und von dort aus gegen das NS-Regime kämpfte. „Die Geschichten deutschsprachiger Tschechoslowaken jüdischer Herkunft zeigen, dass die Dinge komplizierter waren. Dass sich ihre Loyalität gegenüber der Heimat gegen antideutsche Stimmungen und mitunter auch gegen Antisemitismus behaupten musste. Sie wollten auf Seiten der „Guten“ kämpfen, sprachen aber die Sprache der „Bösen“, und so gehörten sie, wie auch der Titel des Films andeutet, erst einmal nirgendwohin“ hob Jurymitglied Vojtěch Berger vom Watchdog-Portal Hlídacipes.org hervor.
Sonderauszeichnung für langjährige, herausragende journalistische Tätigkeit
Mit dem Ehrenpreis für langjährige, herausragende journalistische Tätigkeit wurde Heidi Wolf gewürdigt. Die aus der bayerisch-böhmischen Grenzregion stammende Journalistin hat sich ihr Leben lang dafür eingesetzt, dass Menschen von beiden Seiten der Grenze sich besser kennenlernen können – und der Eiserne Vorhang damit nicht nur politisch und auf dem Papier fällt, sondern auch im Denken und der Wahrnehmung der in der Grenzregion lebenden Menschen. „Nur wenige können Brücken zwischen den Welten so glaubwürdig bauen wie Heidi Wolf. In ihren rund 700 Reportagen zum Thema deutsch-tschechische Nachbarschaft widmet sie sich mit außergewöhnlicher Empathie den Menschen auf beiden Seiten der Grenze – ihren alltäglichen Freuden und Nöten, ihren Sitten und Traditionen, ihren Träumen“, betonte Jurymitglied Lída Rakušanová, freie Journalistin (Tschechischer Rundfunk, Tschechisches Fernsehen u.a.) und Prager Korrespondentin der Passauer Neuen Presse.