Irgendwo in den Bergen des Altvatergebirges steht eine hohe, mächtige Esche. Für die Ferienlagerkinder aus dem nahegelegenen Malá Morávka war dies ein Ort, an dem sie bei ihren Ausflügen gern eine Pause machten. Eines dieser Kinder war vor dreißig Jahren auch Pavel Šuba, der jetzt als Editor beim Tschechischen Rundfunk arbeitet. Schon damals verweilte er gern unter dem alten Baum inmitten der Bergwiese – doch erst als Erwachsener fragte er sich, was diesen Ort so besonders macht. Die stattliche Esche und das Haus, das neben ihr steht, sind die letzten Zeugen des einstigen Lebens in der Ortschaft Morgenland, die nach der Abschiebung der ursprünglichen deutschen Bevölkerung 1946 von der Landkarte verschwand. Pavel Šuba hat zwei Jahre lang die einzelnen Schichten dieser Geschichte freigelegt. Ergebnis ist ein sensibles Porträt dieses Ortes wie auch einiger Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart, denen dieser ans Herz gewachsen ist.
Für mich war das gewissermaßen eine Rückkehr zu den Wurzeln, auch im wörtlichen Sinn, was die Esche betrifft. Schon als Kinder haben wir immer dort haltgemacht. Ich habe aber nie darüber nachgedacht, was früher hier war. Erst als Erwachsener fragte ich mich: Warum steht das da eigentlich? Es ist nicht wichtig, ob man Journalist ist oder welchen Beruf man hat. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit dem, was vor uns hier war.
Pavel Šuba
Die Geschichte der Ortschaft Morgenland
Pavel Šuba befasst sich mit einem Thema, das schon viele Male bearbeitet wurde: dem Schatten der Abschiebung der deutschen Bevölkerung aus den Sudeten. Und doch ist ihm eine einzigartige Rundfunkbearbeitung gelungen. Wie ein Archäologe legt er vorsichtig seine ganz individuelle Geschichte frei. Er spricht mit Touristen, korrespondiert mit einem Mann, der die Abschiebung als Kind erlebte, lässt Tschechisch und Deutsch miteinander verschwimmen, besucht die Bewohner des abgelegenen letzten Hauses, das von dem Dorf übrigblieb. Verknüpft werden die verschiedenen Erzählebenen durch die sensible Musik des in der Gegend gebürtigen Liedermachers Jaromír 99. Auf diese Weise entsteht eine ganzheitliches Bild von der Geschichte des 20. Jahrhunderts, in dem einzelne Momente wie zufällig aufzublitzen scheinen. Die gesamte Reportage ist jedoch bis ins Detail durchkomponiert.
Libuše Černá
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