Historische Fakten zu kennen ist das eine, wirklich zu verstehen, wie geschichtliche Ereignisse das Leben von Menschen beeinflussten, etwas anderes. Thomas Muggenthaler hat Politologie studiert und verfügt daher über einen ausreichenden Fundus an Informationen, Konzepten und Theorien zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dennoch ließ ihn die Frage, wie der Holocaust passieren konnte, nicht schlafen. Bei seiner Suche nach Antworten musste er nicht weit gehen: Buchstäblich vor seiner Haustür befindet sich das KZ Flossenbürg. Er hat eine Ausstellung in diesem einstigen Konzentrationslager mitkonzipiert. Er hat Überlebende getroffen und mit ihnen gesprochen. Den Erinnerungen und Lebenserfahrungen von Zeitzeugen verleiht er regelmäßig im Bayerischen Rundfunk eine Stimme. In seiner herausragenden Radioreportage lässt er uns in die Seelen von Kindern blicken, die einen Teil ihres Lebens hinter den Stacheldrähten von Auschwitz zubrachten. Kinder sehen die Welt anders als Erwachsene. Vieles, was Erwachsenen entgeht, können sie klar benennen – und oft sind das gerade solche Details, die das Wesen der Zeit viel genauer beschreiben als eine Flut von trockenen historischen Fakten und Theorien.
Naja, ich hab Politik studiert, also für mich gibt’s schon einen theoretischen, politischen Zugang zu dem Thema. Es ist halt die Katastrophe der deutschen Geschichte. Die Frage war ja, wie konnte es dazu kommen. Dieses Nicht-Hinsehen, dieses Mitmachen – es sind halt viele Rädchen, die sich da drehen. Das ist nicht ein kurzer Akt, sondern geht über Jahre. Und das haben Millionen mitgesehen und unterstützt und dann vollzogen. Also das ist schon ein Prozess, der sehr nachdenklich macht. Angesichts des immer stärker werdenden Rechtsradikalismus in Deutschland ist es ja naheliegend, dass die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus einfach wichtig ist. Und für mich ist diese Geschichte der zentrale Verbindungsbogen zu Tschechien.
Thomas Muggenthaler
Als Kind in Auschwitz
Thomas Muggenthaler hat mit seinem Feature ein außergewöhnliches Zeitdokument geschaffen und dabei eine der letzten Chancen genutzt. Er lässt den überlebenden Kinder des Konzentrationslagers den Raum, sich zu erinnern, das Erlebte Jahrzehnte später zu schildern, vielleicht auch zu begreifen, was da um sie herum und mit ihnen geschah. Durch die geschickte Komposition, die scheinbare Schlichtheit in der Gestaltung, das klare Texten, sprich- die sensible Zurückhaltung des Autors und der Erzählerin, schafft er den letzten Überlebenden der Konzentrationslager einen würdigen Raum zur Erinnerung- und Mahnung.
Bogna Koreng
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